Woodbadgekurs 2011 - Der Herr der Klötzchen

altZugegeben, ich komme aus einem vorbelasteten Stamm. Wenn ich Worte wie: Handlungsauftrag, Reflexion, Plenum, Flip Chart oder Konsensfindung hörte, dachte ich noch vor kurzem an stickige, von der Sonne nicht erreichbare Konferenzräume, in denen drittklassige ManagerInnen von McKinsey-Leuten eingebläut bekommen, wie wichtig ein funktionierendes Team für das Erreichen der vorgegebenen Ziele sei. Dies, gepaart mit einem „natürlichen“ Misstrauen gegen alles, was sich jenseits der Stammesebene abspielt, war also mein Ausgangspunkt für meinen Woodbadgekurs „Der Herr der Klötzchen“ im fränkischen Schonungen.

Bereits kurz nach der Ankunft im örtlichen KJG-Haus gerieten meine Vorstellungen von grauen DPSG–Ausbildungsbürokraten ins Wanken. Statt der erwarteten fahlen Teamer/Ausbilder, welche nur die vorgeschriebenen Aufnäher auf ihrer Kluft und die selbige in ihrer Hose trugen, wurden wir passend zum Motto von täuschend echt aussehenden Gestalten wie Frodo Beutlin, Gandalf dem Grauen und der Elfe Galadriel begrüßt. Überall hingen Schilder, Fahnen, Bilder, Schwerter und Schriftzeichen aus Hobbingen, Mordor und Gondor. Waren hier nicht schon die größten Ängste und Befürchtungen ausgeräumt, so erledigten dies spätestens die Auenland-Muffins, die uns von den fleißigen Küchenhobbits gereicht wurden.
Wie ich bald feststellte, standen meine Kurskameraden dem bunten und vielversprechenden Rahmen in nichts nach. Sie kamen aus allen möglichen (und unmöglichen) Ecken von Deutschland und brachten norddeutsche Hartnäckigkeit, westfälische Gelassenheit, bayrischen Humor und pfälzische Schlitzohrigkeit in die Gruppe mit.
Nach einigen allseits beliebten und überaus geschätzten Kennenlernspielen ging es jedoch schon schnell ans Eingemachte. Wir bekamen von den Altvorderen einen genauen Tages- und Wochenablauf und einige Informationen über die Projektmethode, sowie hilfreiche Auffrischungen der Modulinhalte. Die nächsten zwei Tage waren sehr gefüllt und überaus anstrengend. Wir mussten uns Gesprächsregeln erarbeiten, den Handlungsauftrag verstehen und eine für alle zustimmungsfähige Auslegung desselben festlegen. Des Weiteren sollten wir uns in Kleingruppen aufteilen, mit deren Zusammensetzung jeder, aber auch wirklich jeder, zu 100% zufrieden sein musste. Die Schwerpunkte dieser Tage waren jedoch andere. Von zentraler Bedeutung war es, dass ein jeder sich über seine eigenen Bedürfnisse und Interessen für den Kurs klar wurde, daraus ein oder mehrere Themen formulierte und dann in einem weiteren Schritt die anderen von seinem Thema überzeugen sollte.

jeder konnte seine aktuelle Stimmung in einem Barometer festhaltenDieser Prozess wurde durch tropische Temperaturen und andauerndes Kirchengeläut (ein bayrisches Dorf – 4 Kirchenglocken, die viertelstündlich schlagen – Gottesdienstzeiten noch nicht eingerechnet) nicht unbedingt erleichtert. Äußerst wirkungsvoll waren dagegen die sogenannten „Anschuggerle“  (hochdeutsch: kurze Motivationsspiele für zwischendurch), die uns immer wieder abkühlten und uns vom Kopf zurück in den Körper brachten. Selbst die von mir so gefürchteten allabendlichen Reflexionen („Nein, es gibt kein Reflexionszwang, aber ihr solltet euch schon alle beteiligen.“) waren derart bunt, kreativ und abwechslungsreich gestaltet, dass man schon ein naher Verwandter des Muffi-Schlumpfs sein musste, um sich ihrem Reiz entziehen zu können. Nach Tagen voller Diskussionen in Groß- und Kleingruppe, zahlreichen Vieraugengesprächen und einem Verbrauch von gefühlten 2 Tonnen Flip-Chart-Papier, sowie circa 354 Moderationskärtchen war es dann soweit:
Wir hatten unseren Themenkonsens gefunden. Von nun an schweißte unser gemeinsames Thema „Always walk on the wild side of life“ die Gruppe noch enger zusammen. Gemeinsam wollten wir mit viel Herzblut und in Teamarbeit etwas Verrücktes tun, in der Natur Abenteuer erleben und unsere Grenzen kennen lernen. Wir wollten voller Energie spontan an etwas Unglaublichem arbeiten, das an die „Ewigkeit“ heranreicht.

durch viele Infoeinheiten konnte bereits vorhandenes Wissen aufgefrischt werdenEndlich war der große Projekttag da. Raus ins Freie und die Früchte der gemeinsamen harten Arbeit einholen. Doch bei aller Freude und Motivation war auch die Unsicherheit zu spüren: „Schaffen wir das auch wirklich?“ Trotz dieser Bedenken packten wir es an. Da wir uns entschlossen hatten, zunächst mit den hauseigenen Schlauchbooten auf den direkt vor der Haustür befindlichen Main zu gehen und dort ohne Ziel drauf los zu fahren, pumpte ein Teil der Wagemutigen die besagten Fortbewegungsmittel auf. Da wir zudem ein Zeichen setzen wollten, welches über unsere Kurswoche hinaus bestehen sollte, besorgten andere in der Zwischenzeit bei einer fränkischen Baumschule (nein, keine Waldorfschule!) eine junge, strapazierfähige Rotbuche, die auch mit an Bord kam, um am Ende des Tages von uns gemeinsam gepflanzt zu werden.
Um der Sache noch mehr Würze zu geben, entschlossen wir uns, auf die Boote einen völlig unnötigen, ja völlig abstrusen Gegenstand mitzunehmen, der nicht nur Platz wegnehmen sollte, sondern so auch noch nie auf einem Paddelboot auf dem Main gesichtet worden war. Unsere Wahl fiel nach einigem Überlegen auf unsere heiß geliebten Flip Charts, die wir liebevoll „auf Deck“ positionierten, um auf dem Wasser mit ihrer Hilfe „Schiffe versenken“ spielen zu können. Nachdem wir die beiden Boote zu Wasser gelassen hatten, mussten wir nur noch einigen wellenschlagenden Schnellbooten ausweichen. Vergeblich versuchten wir zu diesem Zeitpunkt, unser weiteres Vorhaben, ein großes Transportschiff friedlich zu entern, in die Tat umzusetzen.

Ahoi, Kameraden!Dennoch gut gelaunt landeten wir durch Zufall in Schweinfurt und zogen ohne einen Groschen in der Tasche in den Kleingruppen los, um für das abendliche Festmahl mit den Altvorderen und den Küchenhobbits Lebensmittel aufzutreiben. Die Schweinfurter erwiesen sich als derartig großzügig, dass wir, nachdem wir mit vollen Tüten und Taschen wieder zu unseren Booten zurückgekehrt waren, uns ernsthafte Sorgen machen mussten, ob die Boote all das Gute noch tragen könnten.
Aber trotz all der vielen Erfolge waren wir noch immer umtriebig. Wir wollten auf ein Frachtschiff - UNBEDINGT. So gingen drei Tollkühne von uns zum Schweinfurter Schleusenamt und schafften das Unglaubliche. Die Beamten willigten ein, uns zu helfen, und verschafften uns eine Mitfahrgelegenheit auf einem großen „Kiestransporter“. Schnell setzten wir zur anderen Mainseite über und versuchten schleunigst, die Schleuse zu erreichen. Zeitgleich wurde der Himmel über Schweinfurt rabenschwarz. Ein gewaltiges Unwetter zog heran, der Wind peitschte das Wasser an das Ufer. Wer ohnehin noch nicht nass war, wurde es durch den Platzregen, der über uns hereinbrach. Geschwind zogen wir die Boote, die nun mehr an tänzelnde Nussschalen erinnerten, aus dem Wasser und brachten sie mit letzter Kraft zur Schleuse - keine Sekunde zu früh! Schon tauchte unser Frachter auf, den wir mit einer herzlichen La-Ola-Welle begrüßten und sofort "kaperten".

Sauron wachte in der Mitte des Stuhlkreises...Als das gesamte Material verstaut war, konnten wir uns an Deck ein wenig ausruhen und neue Kraft schöpfen. Der Kapitän war uns wohl gesonnen und erzählte uns so manches unglaubliche Seemannsgarn. Trotz der kurzen Erholung waren wir alle an den Grenzen unserer Kräfte angelangt, aber dennoch GLÜCKSELIG. Nach einem Gruppenbild, auf dem wir wahrhaftig nicht „ladylike“ aussehen, konnten wir gemeinsam einen atemberaubenden Sonnenuntergang erleben. Die letzte Etappe unserer Reise erlebten wir schweigend unter dem Eindruck eines phantastischen Sternenhimmels.

Am Nachtankerungsplatz des Frachters ließ uns der Kapitän nicht ohne gute Wünsche von Bord gehen und versprach, den Baum, den wir nun gemeinsam mit den Altvorderen und den Küchenhobbits, die zu uns geeilt waren, pflanzten, regelmäßig zu gießen. Nachdem schließlich alle wohlauf im KJG-Haus angekommen waren, konnten wir uns endlich an den gesammelten Speisen satt essen. Dieses Festmahl übertrumpfte sogar das Festbuffet des letzten Abends, welches wir uns nach dem Projekttag und anschließenden Reflexionseinheiten wahrlich verdient hatten.

Und so klang unsere Woche auch leider schon aus. Jeder ging anders mit dem Erlebten um. Die einen saßen schweigend am Feuer und schauten gedankenverloren in die Glut, während andere sich voller Wonne ins hauseigene Bällchenbad warfen. Was bleibt? Unzählige Erlebnisse und Emotionen, die jeden von uns weit über diese Woche hinaus prägen werden, und ein Gefühl tiefer Dankbarkeit, dass wir dies alles so erleben durften. 

Gut Pfad!

15 glückliche Teilnehmer bei der Projektdurchführung

Zuletzt aktualisiert am Dienstag, 22. Oktober 2013 14:47